Kognitive Reserve gegen pathologische Hirnalterung

Nachdem wir uns im ersten Blogeintrag die Neurogenese angeschaut haben, geht es jetzt um die Gehirn- und kognitive Reserve.

Die Reserve macht den Unterschied zwischen physiologischer und pathologischer Hirnalterung aus

Einer der entscheidenden Unterschiede zwischen physiologischer (normaler) und pathologischer (krankhafter) Hirnalterung betrifft die kognitiven Reserven und die Gehirnreserven. Solange der Abbau von Neuronen während einer normalen Hirnalterung noch durch andere Neuronen kompensiert werden kann, spricht man von „normaler“ Alterung. Aber sobald die Schwelle überschritten wird, wird es kritisch, das Gehirn baut dann pathologisch ab. Hier sind die Reserven also sehr wichtig!

Während die Gehirnreserve dabei eher ein passives Reservemodell ist (Wie viele Neuronen kann man verlieren bzw. kompensieren, bis die kritische Schwelle erreicht ist?) ist die kognitive Reserve ein aktives Modell. Sie hängt von genetischen und äußeren Faktoren wie körperliche Aktivität, kognitiver Aktivität, soziale Interaktion, Geschlecht, Körpergewicht, Schlafdauer, Ernährung sowie Angst bzw. Stress ab und bestimmt, wie effizient das System die Gehirnreserve anzapfen kann.

 

Wie entsteht die kognitive Reserve?

Während mit der körperlichen Aktivität die Neurogenese und damit die Gehirnreserve gefördert wird, ist für den Ausbau der kognitiven Reserve auch die kognitive Stimulation und die soziale Interaktion wichtig.

Kurz gesagt: Die neuen Neuronen, die man sich durch Bewegung angelegt hat, müssen jetzt auch noch „verschaltet“ werden.

Unter kognitiver Stimulation versteht man Aktivitäten, die das Gehirn herausfordern, wie Lesen, Schreiben, kognitive Spiele oder das Erlernen neuer Fähigkeiten. Eine Übersichtsarbeit von Yates et al. ergab, dass die Beteiligung an geistig anregenden Aktivitäten mit einem geringeren Risiko für kognitiven Abbau und Demenz verbunden ist. Ältere Erwachsene, die geistig anregende Aktivitäten ausüben, zeigen ein größeres Volumen an grauer Substanz in Gehirnregionen, die für das Gedächtnis und kognitive Funktionen wichtig sind, und ein aktiver kognitiver Lebensstil wird mit einem günstigeren kognitiven Verlauf bei älteren Menschen in Verbindung gebracht. Freizeitaktivitäten wie Lesen, Spielen von Brettspielen oder Musinstrumenten und Tanzen wurden mit einem geringeren Demenzrisiko bei Personen über 75 Jahren in Verbindung gebracht. Das Erlernen neuer Fähigkeiten wie Jonglieren wurde mit Veränderungen in der Gehirnstruktur und -funktion in Verbindung gebracht, einschließlich einer Zunahme des Volumens der grauen Substanz in den visuellen und motorischen Bereichen des Gehirns.

 

Soziale Interaktion und Teilhabe ist auch sehr wichtig für die kognitive Reserve

Auch soziale Interaktion mit anderen und die Teilnahme an sozialen Aktivitäten wirken sich auf die kognitive Reserve aus, indem sie die Kognition und emotionale Stimulation fördern. Ältere Erwachsene, die sich sozial engagieren, z. B. ehrenamtlich arbeiten oder an Gemeinschaftsveranstaltungen teilnehmen, haben ein geringeres Risiko für kognitiven Abbau als diejenigen, die sich nicht an solchen Aktivitäten beteiligen. Im Gegensatz dazu steht soziale Isolation für ein höheres Demenzrisiko bei älteren Erwachsenen. So haben Holwerda et al. in einer Studie über 2000 ältere Erwachsene über einen Zeitraum von bis zu 7 Jahren beobachtet, und es zeigte sich, dass sozial isolierte Personen ein um 60 % höheres Risiko hatten, an Demenz zu erkranken, als Personen mit sozialer Unterstützung.

 

Training für die kognitive Reserve

Interventionen mit einer Kombination aus körperlichem und kognitivem Training erscheinen besonders sinnvoll, um eine Verbesserung der Kognition zu erzielen und die allgemeine Gesundheit zu steigern. In einer Meta-Analyse haben Gavelin et al. bei älteren Erwachsenen (kognitiv gesund oder leichte kognitive Beeinträchtigung) untersucht, welche Vorgehensweise dabei am wirkungsvollsten ist:

simultan (gleichzeitig), sequenziell (nacheinander) oder Exergaming (Computerspiele, bei denen man sich bewegen muss).

Das wurde mit einer inaktiven Kontrollgruppe verglichen und zeigte folgendes Ergebnis:

Für die Kognition war die wirksamste Vorgehensweise das gleichzeitige Training, gefolgt von sequenziellen Kombinationen und kognitivem Training allein, und signifikant besser als nur körperliche Übungen (Gavelin et al. 2021).

Bei den körperlichen Ergebnissen zeigten simultanes und sequenzielles Training eine vergleichbare Wirksamkeit wie körperliches Training allein und übertrafen signifikant alle anderen Kontrollbedingungen.

Exergaming schnitt bei beiden Outcomes schlecht ab.

 

Ähnliche Ergebnisse erzielten sowohl Xue et al. als auch Meng et al. in ihren Übersichtsarbeiten. Xue et al. kam zu dem Ergebnis, dass kombinierte Interventionen im Vergleich zu kognitiven Interventionen bei Menschen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung und Demenz einen Vorteil gegenüber Einzelübungen haben. Meng et al. fand für ältere Erwachsene mit MCI in Hinsicht der Kognition eine begrenzte Überlegenheit einer kombinierten Intervention gegenüber alleinigen kognitiven Interventionen oder alleinigen körperlichen Übungen.

 
 
 

Quellen:

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